Zahlungen aus eigener Tasche für Gesundheitsleistungen fallen in Frankreich gering aus, doch bestehen Lücken für Menschen mit niedrigem Einkommen, wie ein neuer Bericht der WHO feststellt (2024)

Dem Bericht mit dem Titel „Können sich die Menschen ihre Gesundheitsversorgung leisten? Neue Erkenntnisse über finanzielle Absicherung in Frankreich“ zufolge wies das Land im Jahr 2017 (dem letzten Jahr, für das Daten vorliegen) mit 2 % betroffener Haushalte (rund 800 000 Menschen) eines der niedrigsten Niveaus an ruinösen Gesundheitsausgaben in der EU auf. Wer von ruinösen Gesundheitsausgaben betroffen ist, kann es sich oft nicht mehr leisten, andere grundlegende Bedürfnisse wie Ernährung, Wohnen und Heizen zu befriedigen.

Härten für einkommensschwache Haushalte abmildern

Der Bericht zeigt jedoch, dass die ruinösen Gesundheitsausgaben in Haushalten mit niedrigem Einkommen deutlich höher sind als im nationalen Durchschnitt. Im Jahr 2017 hatten 10 % der Haushalte im ärmsten Fünftel der Bevölkerung mit ruinösen Gesundheitsausgaben zu kämpfen. Hauptursache dafür sind Zahlungen aus eigener Tasche für ambulant verschriebene Medikamente und Medizinprodukte wie Hörgeräte, Brillen und Zahnersatz. Der ungedeckte Bedarf an zahnmedizinischer Versorgung liegt über dem EU-Durchschnitt und ist bei Menschen mit niedrigem Einkommen besonders hoch.

„Frankreich hat erhebliche Fortschritte bei der Stärkung der finanziellen Absicherung gemacht, doch es kann noch mehr getan werden, um Menschen mit niedrigem Einkommen und chronischen Erkrankungen vor Zahlungen aus eigener Tasche zu schützen“, sagt Dr. Natasha Azzopardi-Muscat, Direktorin der Abteilung Gesundheitspolitik und Gesundheitssysteme der Länder bei WHO/Europa. „In dem Bericht werden Maßnahmen genannt, die finanzielle Härten insbesondere für Menschen mit niedrigem Einkommen abmildern können, darunter etwa die Befreiung von allen Zuzahlungen, die Beschränkung von Ausgleichsabrechnungen [sogenanntem „Balance Billing“] und die schrittweise Abschaffung der nachträglichen Kostenerstattung.“

Der Bericht hebt drei Merkmale der französischen Krankenversicherungspolitik hervor, die dazu beitragen, die Gesundheitsversorgung für viele Menschen erschwinglich zu machen und als Beispiele bewährter Praktiken für andere Länder dienen können:

  • Der Anspruch auf durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) finanzierte Gesundheitsleistungen hängt nicht von der Zahlung von GKV-Beiträgen ab, so dass alle Einwohner automatisch lebenslang versichert sind, auch Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen.
  • Personen, die an einer von 32 chronischen Krankheiten (sog. affections de longue durée) leiden, von denen etwa 18 % der Bevölkerung betroffen sind, sind von den Nutzergebühren (das sog. ticket modérateur) für die Behandlung dieser Erkrankungen befreit.
  • Migranten ohne Papiere mit niedrigem Einkommen, die sich seit mindestens 90 Tagen in Frankreich aufhalten, haben über die staatliche medizinische Beihilfe (aide médicale de l'État (AME)) Zugang zu ähnlichen Leistungen wie Einheimische, ohne Nutzergebühren zahlen zu müssen.

Finanzielle Härten und ungedeckter Bedarf bestehen in einkommensschwachen Haushalten aufgrund von Schwächen bei einigen Aspekten der GKV-Versorgung – zum Beispiel unzureichender Schutz vor hohen und komplexen Zuzahlungen (einschließlich Ausgleichsabrechnungen) und begrenzte Leistungen der zahnmedizinischen Versorgung – fort.

Der Abschluss einer Zusatzversicherung zur Deckung von Zuzahlungen ist kein Allheilmittel

Eine Zusatzversicherung verbessert die finanzielle Absicherung für rund 95 % der Bevölkerung, zum Teil weil Haushalte mit sehr niedrigem Einkommen sie kostenlos oder mit einem Zuschuss erhalten, doch sie löst nicht alle durch Zuzahlungen verursachten Probleme und ist mit vielen Herausforderungen verbunden:

Eine Zusatzversicherung ist eine stark regressive Art der Finanzierung des Gesundheitssystems, die die einkommensschwächere Hälfte der Bevölkerung finanziell stark belastet; 2017 machten Zusatzversicherungs-Prämien 6 % aller Ausgaben in Haushalten mit niedrigem Einkommen aus, verglichen mit 2,5 % in den einkommensstärksten Haushalten.

Finanzielle und administrative Hindernisse beim Zugang zu einer hochwertigen Zusatzversicherung stellen für viele Haushalte mit niedrigem Einkommen nach wie vor ein Problem dar.

Verlässt man sich bei der finanziellen Absicherung derart stark auf Zusatzversicherungen, ist dies für den Staat und für Arbeitgeber mit erheblichem Transaktions- und Finanzaufwand verbunden.

Die Gesundheitsversorgung für alle erschwinglicher machen

Seit dem Jahr 2000 versucht die französische Regierung, die finanzielle Absicherung zu verbessern, indem sie den Zugang zur GKV und zu Zusatzversicherungen verbessert und in jüngster Zeit Ausgleichsabrechnungen für Medizinprodukte (einschließlich Produkten der zahnmedizinischen und augenärztlichen Versorgung sowie Hörgeräten) durch die Reform „100 % Gesundheit“ (100% Santé), die zwischen 2019 und 2021 eingeführt wurde, reduziert hat.

Darauf aufbauend kann die Regierung den bezahlbaren Zugang zur Gesundheitsversorgung folgendermaßen verbessern:

  • Reduzierung von Zuzahlungen zur GKV, indem Menschen mit niedrigem Einkommen und Menschen mit chronischen Erkrankungen von allen Zuzahlungen befreit werden, eine jährliche einkommensabhängige Obergrenze für alle Zuzahlungen für die gesamte Bevölkerung festgelegt wird, Ausgleichsabrechnungen beschränkt werden und die nachträgliche Kostenerstattung allmählich abgeschafft wird;
  • Ersetzen der prozentualen Zuzahlungen (ticket modérateur) durch niedrige, feste Zuzahlungen;
  • Verringerung der Regressivität von Zusatzversicherungen durch Beseitigung finanzieller und administrativer Hindernisse beim Zugang zu einer kostenlosen oder subventionierten Zusatzversicherung für Menschen mit niedrigem Einkommen und Kopplung der Zuschüsse zu einer Zusatzversicherung für Arbeitnehmer an das Einkommen;
  • Verbesserung der durch die GKV abgedeckten zahnärztlichen Leistungen; und
  • Verbesserung des Zugangs zur staatlichen medizinischen Beihilfe (AME) für Migranten ohne Papiere durch Vereinfachung und Automatisierung der entsprechenden administrativen Verfahren.

„Die Regierung hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten konsequent um eine Ausweitung des Zugangs zu Zusatzversicherungen bemüht, doch unsere Analyse zeigt, dass die einkommensschwächsten Haushalte noch immer die größten Probleme beim Zugang zu einer Zusatzversicherung haben“, sagt Damien Bricard, Wissenschaftler am Institut für Forschung und Information in der Gesundheitsökonomie (IRDES) und Hauptautor des von WHO/Europa veröffentlichten Berichts. „Selbst wenn Haushalte mit niedrigem Einkommen über eine Zusatzversicherung verfügen, bietet diese möglicherweise keinen ausreichenden Schutz und stellt für sie eine schwere und ungerechte finanzielle Belastung dar.“

Über den Bericht

Der in Kooperation mit einem Wissenschaftler des IRDES ausgearbeitete Bericht beurteilt das Ausmaß, in dem die Menschen in Frankreich bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen mit finanziellen Härten zu kämpfen haben und aufgrund der finanziellen Barrieren beim Zugang zur Gesundheitsversorgung Bedürfnisse unerfüllt bleiben. Er bezieht sich auf den Zeitraum 2011–2024 und stützt sich auf Mikrodaten aus Erhebungen über die Wirtschaftsrechnungen privater Haushalte, die im Zeitraum zwischen 2011 und 2017 (dem letzten Jahr, für das Daten vorliegen) durchgeführt wurden, auf Daten zu unerfüllten Bedürfnissen im Hinblick auf die Gesundheitsversorgung bis 2022 (dem letzten Jahr, für das Daten vorliegen) sowie auf Informationen zur Kostenerstattungspraxis (Abdeckung der Bevölkerung, Versorgungsgrad, Nutzergebühren und freiwillige Krankenversicherung) bis März 2024.

Weitere Informationen zum Bericht finden Sie bei UHC watch, einer neuen Online-Plattform, auf der die Fortschritte in Bezug auf den bezahlbaren Zugang zur Gesundheitsversorgung in Europa und Zentralasien dokumentiert werden.

Der Bericht und UHC watch wurden von der Europäischen Union durch das Programm EU4Health finanziell unterstützt.

Über die Arbeit von WHO/Europa zur finanziellen Absicherung

Durch das WHO-Büro Barcelona zur Finanzierung der Gesundheitssysteme wacht WHO/Europa über die finanzielle Absicherung und nutzt dafür regionsweite Indikatoren zur Erfassung von Chancengleichheit. Finanzielle Absicherung ist ein zentraler Bestandteil der allgemeinen Gesundheitsversorgung und ein Kernelement bei der Bewertung der Leistungsfähigkeit von Gesundheitssystemen. Sie ist ein Indikator der Ziele für nachhaltige Entwicklung, ein Bestandteil der Europäischen Säule sozialer Rechte und steht im Zentrum des Europäischen Arbeitsprogramms, des strategischen Handlungsrahmens von WHO/Europa.

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